Kulturelle Differenz der Übersetzung

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Schon die Übersetzung des Titels bringt eine kulturelle Differenz zutage. Pattern und Muster haben alle Bedeutungen gemeinsam; auch die einer „Vorlage", nach der man arbeiten kann. Aber weder den „Mustergatten" noch den „Musterbetrieb" könnte man durch das Wort Pattern wiedergeben; und die Muster-Sprache ist nichts für Musterschüler.


Trotzdem ist hier wie fast überall die wörtliche Übersetzung vorgezogen worden. Die Furcht vor ungewöhnlichen Wendungen ist meist das Kennzeichen schlechter Übersetzungen — denn auch der originale Wortlaut ist in der Originalsprache nicht immer trivial. Freilich bedeuten gleiche Worte nicht immer dasselbe: space ist Raum oder Platz im Sinn von „Spielraum"; place dagegen Stelle oder Ort, also ein „Platz" im Raum, schließlich auch ein Lokal. Aber auch mit room kann Raum gemeint sein und Platz wiederum mit square. Structure bedeutet in der Architektur selten „Struktur", sondern meist schlicht Konstruktion. Es kommt darauf an, einen ganzen Text hindurch die schlüssigen Korrespondenzen herzustellen.


Es gibt auch baukulturelle Unterschiede. Der Deutschsprachige ist zwar „zu Hause", aber er meint die Wohnung, wenn der Anglo-Amerikaner von house spricht; das gilt wohl für ganz Mitteleuropa. Die Geschoßwohnung - für den Amerikaner erst oberhalb eines gewissen Standards positiv besetzt - ist für Paris oder Wien seit dem Mittelalter die eigentlich urbane Wohnform. Deswegen ist plan im Deutschen nicht der „Hausplan" schlechthin, der auch die Raumhöhen enthält, sondern der Geschoßgrundriß; deswegen ist ein „Fensterbrett" nicht niedrig vorstellbar: iow sill allenfalls als niedrige Brüstung verständlich. Holzfußböden sind bei uns nicht ganz so zweifelhaft wie in Muster 233; sie sind zuzeiten auch im Wohnbereich sehr verfeinert worden und werden im städtischen Geschoßwohnbau bereits mit vorgereinigten Schuhen erreicht. Die unterschiedlichen Besiedlungsvorstellungen wirken sich natürlich auch in Begriffen wie Block, Grundstück und sogar Gebäude aus und sind bei zahlreichen Mustern in Erinnerung zu behalten.


Manche Begriffe sind in verschiedenen Sprachen verschieden besetzt. Ein „Kinderheim" ist eine triviale Institution; mit children`s home ist etwas anderes gemeint, was durch Kinderhaus nur teilweise wiedergegeben ist. Nachbarschaft ist im Deutschen ideologisch belastet, wurde aber hier meist verwendet, obwohl neighborhood kaum mehr bedeutet als „Wohngebiet". Columns sind für Alexander, der ja nicht historische Architekturelemente „zitiert", keine „Säulen", sondern einfach Pfeiler.


Was die regionalen Unterschiede der deutschen Sprache betrifft, wurde der österreichischen bzw. Wiener Ausdrucksweise der Vorzug gegeben. Es heißt also Sessel, nicht „Stuhl", im Normalfall Stiege, nicht „Treppe", und Geschäft, nicht „Laden" (mit Ausnahme der Ladenschulen des Musters 85). Bei Ringstraßen allerdings (Muster 17) muß gerade der Wiener seine Vorstellung aufgeben.


Die Muster-Sprache ist kein „Musterbuch", wiewohl sie in erster Annäherung als ein solches verwendbar ist. Die Muster sind keine „Regeln", sondern Strukturen von Argumenten. Ihr Ursprung liegt bereits in der Doktorarbeit Alexanders (Notes on the Synthesis of Form), in der er sich mit der komplexen Entscheidungsfindung beim Entwurf beschäftigt. Angesichts der Unmöglichkeit, selbst unter Einsatz von Computern alle Anforderungen eines Entwurfs gleichzeitig zu lösen, schlägt Alexander vor, Anforderungen mit starker Wechselwirkung in Gruppen zusammenzufassen und Teillösungen auf der Basis dieser „Diagramme" zu finden. In Die Stadt ist kein Baum tritt die Erkenntnis hinzu, daß diese Teilsysteme keine hierarchische („Baum"-)Struktur, sondern einen Halbverband bilden, der durch Überschneidungen, Überlappungen der Elementmengen charakterisiert ist. Sowohl die Diagramme wie die Überschneidungen des Halbverbandes kann man dem Begriff des Musters zugrundelegen.

Diese Diagramme, die ich in meiner späteren Arbeit Muster genannt habe, sind der Schlüssel zum Prozeß der Formfindung.... Der Gedanke eines Diagramms oder Musters ist sehr einfach. Es handelt sich um ein abstraktes Muster von physischen (räumlichen, baulichen) Beziehungen, das ein kleines System von aufeinanderwirkenden und gegensätzlichen Kräften zur Lösung bringt und zugleich unabhängig ist von allen anderen Kräften und von allen anderen möglichen Diagrammen... Mir ist seither klar geworden, daß man aus diesen abstrakten Diagrammen nicht nur durch Fusion ein einfaches Ganzes schaffen kann... Da die Diagramme voneinander unabhängig sind, kann man jedes für sich studieren und verbessern, so daß ihre Entwicklung schrittweise und kumulativ vor sich geht. Noch wichtiger: Da sie abstrakt und voneinander unabhängig sind, kann aus ihnen nicht nur ein einziger, sondern eine unbegrenzte -Vielfalt von Entwürfen gebildet werden, die alle freie Kombinationen derselben Menge von Mustern sind (Vorwort zur Paperback-Ausgabe der Notes on the Synthesis of Form).

In diesem System ist nur mehr von Beziehungen die Rede; die Elemente, zwischen denen diese Beziehungen bestehen, sind selbst Muster.

Ich verwende für die Gültigkeit einer Theorie immer wieder ästhetische Kriterien. Zum Beispiel störte mich an der von uns einmal verfolgten Theorie, die sowohl „Teile" wie „Muster" enthielt, daß die Muster eine klare Logik an sich hatten und begründet werden konnten, die sogenannten Teile dagegen völlig willkürlich waren. Wir dachten damals an vorhandene „Teile" — wie Tür, Fenster, Straße usw. — und an Beziehungen zwischen diesen Teilen, nämlich die „Muster". Aber die Teile waren völlig willkürlich und kamen von irgendwo her. Solange die Theorie diese Ungereimtheit an sich hatte, wollte ich sie nicht vertreten. Und diese Art von Kriterium verwende ich immer wieder (Interview Christopher Alexander in Grabow: C. A.).

Die reife, „elegante" Fassung der Theorie besagt also, daß „die Muster sowohl die Welt beschreiben als auch Elemente der Sprache und zugleich ihre Regeln sind" (Grabow).


Es liegt auf der Hand, daß die Muster-Sprache ein konzeptionell offenes System ist, obwohl sie von einem streng methodischen Ansatz ausgeht. Tatsächlich hat keiner der zahlreichen irrationalen Ansätze zur Überwindung des „Funktionalismus" jene ursprüngliche Kraft aufgefunden, die den Menschen wieder zu sich selbst bringt. Theodor W. Adorno, kein Architekt, aber ein Kenner des menschlichen Geistes, hat gemeint, man könne über die Sachlichkeit nur hinaus, indem man noch sachlicher sei.


Die in der Muster-Sprache gewonnene Freiheit erlaubt das Einbringen sowohl individueller Wünsche und Erfahrungen als auch kollektiver Errungenschaften und Traditionen - letzteres sogar differenzierter als ein typologischer Ansatz. Sie vermittelt auch jene künstlerische Einsicht, daß trotz Einhaltung von Regeln ein totes Werk entstehen und ein lebendiges Werk allen Regeln widersprechen kann.


Bei Alexander steht diese Freiheit in einem umfassenden Begriff des Bauens, durch den die verloren gegangenen Qualitäten früherer Baukunst wiedererworben werden können - nicht auf dem Wege der Formen und Bauweisen, sondern auf dem Wege des Sinns von Formen und Bauweisen.


Die Muster-Sprache bildet aber auch die Struktur einer Kosmologie ab und ist Teil einer Theorie der Ordnung und Ganzheit (Ingrid F. King), die in anderen Büchern Alexanders vorliegt oder noch publiziert werden soll. Über die Muster-Sprache hinaus fordert diese Theorie vom Entwurf eine zentrenbildende Geometrie, in der jedes Ganze kleinere Ganzheiten in sich birgt und sich mit anderen zu einem neuen, größeren Ganzen zusammenschließt, so daß die Maßstäbe dieser Geometrie stufenweise ineinander greifen.


Wenn der Entwurf Teil des Kosmos wird, wenn der Entwerfende seiner Eitelkeit entsagen muß - aber die Autorität des Naturgesetzes beanspruchen kann, entsteht das Bild einer Welt, in die ich Alexander nur folgen wollte, wenn sie auch das noch nicht Gedachte, das Unerwartete, Absurde, Peinliche einschlösse. Ist des Menschen „zweite" Natur nicht, zu reflektieren und sich möglicherweise unnatürlich zu verhalten?


Eine Muster-Sprache - die Kraft dieses Konzepts liegt auch im unbestimmten Artikel, der Raum für Skepsis gegenüber einer alles überwölbenden Harmonie läßt, für die Toleranz des wahren Manierismus, der die Störung nicht ausschließt.


In deutscher Sprache liegt nunmehr so etwas wie der Prüfstein der Alexarider'sehen Theorie vor — des nach wie vor umfassendsten zeitgenössischen Denkansatzes zur Weiterentwicklung des Bauens.


Hermann Czech



Literatur zum Nachwort

  • Christopher Alexander: Notes on the Synthesis of Form; Cambridge, Mass./London 1964. Preface to the Paperback Edition; 1971
  • Christopher Alexander: A City is Not a Tree; Architectural Forum, April—May 1965. Erste deutsche Publikation: Die Stadt ist kein Baum; in: Bauen+Wohnen, München, Juli 1967, 283-290
  • Stephen Grabow: Christopher Alexander. The Search for a New Paradigm in Architecture; Stocksfield/Boston/Henley /London 1983
  • Ingrid F. King: Christopher Alexander and Contemporary Architecture; Architecture and Urbanism, Tokyo, August 1993, Special Issue
  • „Christopher Alexander"; Arch+, Aachen, Heft 73, März 1984 mit einem Streitgespräch Christopher Alexander/Peter Eisenman und Beiträgen von Hermann Czech, Manfred Kovatsch u. a.