212 Pfeile in den Ecken
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... angenommen, der Plan des Daches ist fertig und die Deckengewölbe für jeden Raum sind in jedem Geschoß festgelegt — ANORDNUNG DER DÄCHER (209), ANLAGE DER GESCHOSSDECKEN (210). Diese Gewölbe sind nicht nur Grundbestandteile der Konstruktion, sondern auch die Definition der darunterliegen-den sozialen Räume. Jetzt geht es darum, die Pfeiler in die Ecken der Gewölbe zu setzen. Dadurch werden die sozialen Räume noch stärker definiert — DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205). In der Entstehung des Gebäudes ist dies der erste bauliche Schritt — ERST LOSE, DANN STARR (208).
Wir haben bereits den Gedanken dargelegt, dass die konstruktive Gliederung eines Gebäudes mit seinen sozialen Räumen übereinstimmen sollte.
In DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205) haben wir dargelegt, dass Pfeiler und Säulen aus psychologischen Gründen in den Ecken von sozialen Räumen stehen sollten. In RATIONELLE KONSTRUKTION (206) haben wir dargelegt, dass Materialverstärkungen in den Ecken eines Raumes aus rein konstruktiven Gründen erforderlich ist.
Jetzt geben wir noch eine dritte Begründung dieses Musters; sie beruht nicht auf psychologischen oder konstruktiven Argumenten, sondern auf dem Kommunikationsvorgang, durch den jemand einem Bauunternehmer einen komplexen Entwurf übermitteln und seine organische Umsetzung sicherstellen kann.
Es fängt mit dem Problem der Maßangaben in Ausführungszeichnungen an. Seit einigen Jahrzehnten ist es allgemein üblich, ein geplantes Gebäude mit Hilfe von Ausführungszeichnungen genau zu beschreiben. Diese Ausführungszeichnungen kommen auf die Baustelle; der Bauunternehmer überträgt die Maße auf die Baustelle, und jede Einzelheit der Zeichnungen wird auf der Baustelle in natura gebaut.
Dieser Vorgang verkrüppelt das Gebäude. Eine solche Zeichnung kann man nicht ohne Reißschiene machen. Die Notwendigkeiten des Zeichnens selbst verändern den Grundriss, machen ihn steifer, verwandeln ihn in die Art Grundriss, die aufgetragen und bemessen werden kann.
Durch den Gebrauch der Muster-Sprache kommt man aber zu einer viel freieren Art von Grundriss - weniger leicht aufzutragen und zu bemessen. Ob man sich nun solche Grundrisse auf der Baustelle ausdenkt - und da mit Stecken, Steinen oder Kreide markiert - oder ob man sie grob auf einem Briefumschlag oder einem Stück Transparentpapier skizziert, in jedem Fall kann der Reichtum, der in den Plan gelegt werden soll, nur erhalten bleiben, wenn der Bauunternehmer imstande ist, ein lebendes Gebäude entstehen zu lassen, mit allen leicht ungeraden Linien und abweichenden Winkeln.
Um das zu erreichen, muss das Gebäude auf ganz andere Weise entstehen. Es kann nicht auf der sklavischen Befolgung von Ausführungszeichnungen beruhen. Was im wesentlichen getan werden muss, ist, jene Punkte festzulegen, durch die die Räume entstehen - sowenig Punkte wie möglich - und dann diese Punkte direkt auf der Baustelle während des Bauvorganges die Wände hervorbringen zu lassen.
Man kann folgendermaßen vorgehen: fixiere zuerst die Ecke jedes wichtigen Raumes durch einen Pfahl im Boden. Es gibt nicht mehr als ein paar Dutzend solcher Ecken in einem Gebäude; das ist also auch bei komplizierten und unregelmäßigen Maßen möglich. Leg diese Eckmarkierungen an, wo sie richtig erscheinen, ohne Rücksicht auf die genauen Abmessungen. Es gibt überhaupt keinen Grund, modulare Abmessungen einzuführen oder das auch nur zu versuchen. Bei nicht genau orthogonalen Winkeln, wie sie oft vorkommen werden, sind modulare Abmessungen ohnehin unmöglich.
Mehr als diese simplen Markierungen braucht man zur Errichtung des Gebäudes nicht. Man beginnt ganz einfach, indem man an jedem dieser Punkte einen Pfeiler errichtet. Durch diese Pfeiler entsteht das übrige Gebäude, durch ihr bloßes Vorhandensein, ohne dass man weitere detaillierte Maße oder Zeichnungen braucht. Die Wände werden einfach entlang der Linien zwischen benachbarten Pfeilern errichtet und alles ändere folgt von selbst.
Für die oberen Geschosse kann man die Pfeilerpositionen zeichnen und sie wiederum während des Bauens auf das wirkliche Bauwerk übertragen. In VERTEILUNG DER PFEILER (213) wird man sehen, dass Pfeiler der Obergeschosse nicht genau mit den unteren Pfeilern übereinstimmen müssen.
Durch dieses Verfahren ist es möglich, ein durchaus komplexes Gebäude aus dem Kopf oder von einer Skizze auf das Grundstück zu übertragen und es so wieder zu erschaffen, dass es dort zum Leben erwacht.
Die Methode beruht darauf, dass man die Ecken der Räume zuerst bestimmt und dass diese Ecken eine entscheidende Rolle im Bauvorgang spielen können. Obwohl die Methode auf ganz anderen Argumenten beruht als DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205), führt sie interessanterweise fast genau zum gleichen Ergebnis.
Daraus folgt:
Zeichne auf einem groben Grundriss einen Punkt für jeden Pfeiler, und zwar an den Ecken jedes Raumes und an den Ecken kleinerer Bereiche wie Wandnischen und Erker. Dann übertrag auf der Baustelle diese Punkte mit Pfählen auf den Boden.
Sind die Pfeiler oder Säulen für jedes Geschoß im Grundriss der Deckengewölbe eingezeichnet, bring sie von Geschoß zu Geschoß in Übereinstimmung und füg Zwischenpfeiler ein - VERTEILUNG DER PFEILER (213). Beachte besonders, dass die Pfeiler keineswegs in einem Raster stehen müssen. Die Decken und Dachgewölbe können jeder Anordnung von Pfeilern angepasst werden und trotzdem eine zusammenhängende Konstruktion ergeben. Die Gebäudeform kann daher ohne unnötigen Zwang durch rein konstruktive Überlegungen den sozialen Räumen entsprechen - GEWÖLBTE DECKEN (219), GEWÖLBTE DÄCHER (220).
Diese Pfeiler bestimmen nicht nur unser inneres Bild des Gebäudes, sondern auch seine Errichtung: zuerst kommen die Pfeiler mit ihren Fundamenten an ihre Stelle; dann werden die Pfeiler rund um jeden Raum durch Randbalken verbunden, um ein vollständiges Rahmenskelett zu bilden - WURZELFUNDAMENTE (214), KASTENPFEILER (216), RANDBALKEN (217). Leg besonderen Wert auf alle freistehenden Pfeiler; denk daran, sie ausreichend dick zu machen - DER PLATZ AM PFEILER (226).