9 Streuung der Arbeitsstätten
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...dieses Muster trägt zur allmählichen Entwicklung des MOSAIKS AUS SUBKULTUREN (8) bei, indem es Familien und Arbeit zusammenlegt und so das Entstehen stark unterschiedlicher Subkulturen mit individuellem Charakter begünstigt.
Die künstliche Trennung von Wohnung und Arbeit schaff! einen unerträglichen Zwiespalt im Innenleben der Menschen.
In moderner Zeit setzen fast alle Städte Zonen für "Arbeit" und andere Zonen für "Wohnen" fest und erzwingen die Trennung meist auf gesetzlichem Weg. Für die Trennung werden zwei Gründe angegeben: Erstens müssen die Arbeitsplätze aus kommerziellen Gründen nahe beisammen sein; zweitens zerstören die Arbeitsstätten die Ruhe und Sicherheit der Wohngebiete.:
Diese Trennung schafft jedoch im Gefühlsleben der Menschen einen entscheidenden Zwiespalt. Kinder wachsen in Gegenden auf, wo es außer an Wochenenden keine Männer gibt; Frauen sind in einer Atmosphäre gefangen, wo von ihnen nur erwartet wird, dass sie hübsche und intelligente Hausfrauen sind; Männer sind gezwungen, den Bruch zu akzeptieren, dass sie den größeren Teil ihres wachen Lebens "in der Arbeit, fern von der Familie" verbringen und dann den anderen Teil "mit der Familie, fern von der Arbeit".
Diese Trennung bestärkt durch und durch die Vorstellung, dass Arbeit eine Plackerei und nur das Familienleben "Leben" ist - eine schizophrene Ansicht, die enorme Probleme für alle Mitglieder einer Familie aufwirft.
Um diesen Bruch zu überwinden und die Verbindung zwischen Liebe und Arbeit - von zentraler Bedeutung für eine gesunde Gesellschaft - wiederherzustellen, muss eine Neuverteilung aller Arbeitsplätze in die Wohngebiete hinein stattfinden, sodass Kinder tagsüber in der Nähe von Männern wie auch von Frauen sind, dass Frauen sich vorstellen können, sowohl liebende Mütter und Ehefrauen als auch schöpferisch tätig zu sein, und dass auch Männer eine ständige Verbindung zwischen ihrem Arbeitsleben und ihrem Leben als Ehemann und Vater herstellen können.
Was ist für eine solche Verteilung von Arbeitsstätten erforderlich?
- Von jeder Wohnung aus sind innerhalb von 20-30 Minuten hunderte Arbeitsplätze erreichbar.
- Viele Arbeitsplätze sind für Kinder und Angehörige zu Fuß erreichbar.
- Beschäftigte können gelegentlich nach Hause essen gehen, Wege erledigen, halbtags arbeiten und einen halben Tag zu Hause bleiben.
- Eine Anzahl von Arbeitsplätzen ist in den Wohnungen; es gibt viele Möglichkeiten, die Arbeit von der Wohnung aus zu erledigen oder Arbeit mit nach Hause zu nehmen.
- Wohngebiete sind vor Verkehr und Lärm "schädlicher" Arbeitsplätze geschützt.
Das einzige Muster von Arbeitsstätten, das diesen Anforderungen gerecht wird, ist ein Muster der Streuung von Arbeitsstätten:
ein Muster, in dem Arbeit stark dezentralisiert ist. Um die Wohngebiete vor Lärm und Verkehr zu schützen, könnten manche störenden Arbeitsstätten in den Grenzstreifen zwischen Wohngebieten, Gemeinden und Subkulturen liegen - siehe SUBKULTURGRENZE (13); andere, weniger störende oder schädliche, könnten direkt in Wohnungen oder Wohngebiete eingebaut werden. In beiden Fällen ist der entscheidende Punkt: Jede Wohnung ist nur einige Minuten von dutzenden Arbeitsplätzen entfernt. Dann wäre jeder Haushalt in der Lage, eine persönliche Ökologie von Wohnen und Arbeiten aufzubauen: Allen Mitgliedern steht es frei, sich einen Arbeitsplatz in der Nähe der Familie und der Freunde zu suchen. Die Leute können sich zum Essen treffen, Kinder können vorbeikommen, die Beschäftigten haben nicht weit nach Hause. Und wenn solche Verbindungen bestehen, werden die Arbeitsplätze selbst zwangsläufig freundlicher werden, mehr wie Wohnungen, wo das Leben nicht für acht Stunden verbannt ist, sondern weitergeht.
In traditionellen Gesellschaften, wo Arbeitsstätten relativ klein und Haushalte vergleichsweise autark sind, ist dieses Muster etwas Natürliches. Aber ist es vereinbar mit den Tatsachen hochentwickelter Technologie und fabrikmäßiger Konzentration der Arbeitskräfte? Wie zwingend ist die Forderung, dass Arbeitsstätten nahe beisammen sein müssen?
Das Hauptargument für die Zentralisierung von Betriebsanlagen und deren ständiges Größenwachstum ist ein ökonomisches. Es ist immer wieder dargelegt worden, dass in größerem Produktionsmaßstab Einsparungen möglich sind, Vorteile, die aus der Produktion einer übergroßen Anzahl von Gütern und Dienstleistungen an einer Stelle entstehen.
Große, zentralisierte Organisationen sind jedoch keine wesentliche Bedingung der Massenproduktion. Viele ausgezeichnete Beispiele zeigen, dass die Arbeit beträchtlich gestreut sein kann, obwohl Güter und Leistungen von enormer Komplexität produziert werden. Eines der besten historischen Beispiele ist die Jura-Vereinigung der Uhrmacher, entstanden in den Schweizer Bergdörfern in den frühen 1870er Jahren. Diese Arbeiter erzeugten Uhren in ihren Hauswerkstätten; jeder blieb unabhängig, obwohl er seine Tätigkeit mit anderen Erzeugern aus den umliegenden Dörfern koordinierte. (Zu einer Beschreibng dieser Vereinigung siehe z. B. George Woodcock, Anarchlsm: A History of Libertarian Ideas and Movements, Cleveland: Meridian Books, 1962, S. 168-169.)
Für unsere Zeit hat Raymond Vernon gezeigt, daß kleine und verstreute Arbeitsstätten in der großstädtischen Wirtschaft New Yorks viel schneller auf wechselnde Nachfragen und Angebote reagieren und daß die Kreativität in der Anhäufung kleiner Unternehmen um ein Vielfaches höher ist als die der schwerfälligeren und zentralisierten Industriegiganten. (Siehe Raymond Vernon: Metropolis 1985, Kapitel 7: External Economies.)
Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst klar machen, dass die Stadt selbst eine ungeheure zentralisierte Arbeitsstätte ist und dass die Vorteile dieser Zentralisierung potentiell jeder Teilgruppe innerhalb dieser ungeheuren Gemeinschaft von Arbeitsstätten zur Verfügung stehen. In der Tat wirkt die städtische Region als Ganzes zusammen und bewirkt durch ihre Größe Einsparungen, indem sie Tausende von Einzelgruppen in Reichweite zueinander bringt. Wenn man diese Art von "Zentralisierung" richtig weiterentwickelt, kann sie eine unendliche Zahl von Kombinationen zwischen kleinen verstreuten Arbeitsgruppen hervorbringen. Außerdem können die Produktionsmethoden viel flexibler werden. "Wenn wir einmal verstanden haben, dass die moderne Industrie nicht notwendigerweise finanzielle und räumliche Konzentration mit sich bringt, werden - so glaube ich - kleinere Zentren entstehen, und die wirklichen Vorteile der Technologie werden sich breiter verteilen." (Lewis Mumford: Sticks and Stones, New York, 1924, S. 216.)
Vergessen wir nicht, dass sogar so komplizierte und scheinbar zentralisierte Vorhaben wie der Bau einer Brücke oder einer Mondrakete auf diese Weise organisiert sein können. Ein Gebäude aus Verträgen und Sub-Verträgen ermöglicht die Produktion komplizierter industrieller Güter und Leistungen, indem die Tätigkeit hunderter kleiner Firmen kombiniert wird. Das Apollo-Projekt brachte mehr als 30.000 unabhängige Firmen zusammen, die die kompliziertesten Raumfahrzeuge zum Mond herstellten.
Außerdem zeigt sich, dass die Organisationen, die derartige Vielfachverträge abschließen, kleine halbautonome Firmen bevorzugen. Sie wissen instinktiv: Je kleiner und unabhängiger die Gruppe, desto besser das Produkt und die Leistung (Small SeIlers and Large Buyers in American Industry, Business Research Center, College of Business Administration, Syracuse University, New York, 1961).
Um es klarzustellen: Wir meinen keineswegs, dass die Dezentralisierung der Arbeit den Vorrang vor einer hochentwickelten Technologie haben sollte. Wir glauben, dass beide vereinbar sind: Es ist möglich, das menschliche Bedürfnis nach interessanter und schöpferischer Arbeit mit der anspruchsvollen Technologie der modernen Zeit zu verschmelzen. Es ist möglich, Fernsehgeräte, Xerox-Kopierer, IBM-Schreibmaschinen, Autos, Stereoanlagen und Waschmaschinen unter menschlichen Arbeitsbedingungen herzustellen. Wir erwähnen besonders Xerox-und IBM-Geräte, weil sie eine entscheidende Rolle bei der Entstehung dieses Buches gespielt haben. Wir hätten dieses Buch ohne diese Maschinen nicht in der gemeinschaftlichen Weise zustande gebracht, wie es der Fall war; diese Geräte sind ein lebenswichtiger Teil der angestrebten, dezentralisierten Gesellschaft.
Daraus folgt:
Benutz Flächenwidmung, Gebietsplanung, Steueranreize und alle andern verfügbaren Mittel, um eine Streuung der Arbeitsstätten über die ganze Stadt zu erreichen. Verhindere große Konzentrationen von Arbeitsstätten ohne Familienleben in der Nähe. Verhindere große Konzentrationen von Familienleben ohne Arbeitsstätten in der Nähe.
Die Streuung der Arbeitsstätten kann die verschiedensten Formen annehmen. Sie kann als Industriegürtel auftreten, wo deine Industrie 1/2 ha oder mehr zwischen Gebieten von Subkulturen einnehmen muss - SUBKULTUR-GRENZE (13), INDUSTRIEBAND (42); sie kann in Form von Arbeitsgemeinschaften auftreten, die in den Wohnbezirken verstreut sind - NACHBARSCHAFTSGRENZE (15), GEMEINSCHAFT VON ARBEITSSTÄTTEN (41); es können individuelle Werkstätten sein, direkt zwischen den Häusern - WERKSTATT IM HAUS (157). Die Größe jeder Arbeitsstätte wird nur durch die Art der Gruppe und den Prozess der Selbstverwaltung begrenzt. Das wird im einzelnen in SELBSTVERWALTETE WERKSTÄTTEN UND BÜROS (80) behandelt.
Muster: Städte
5 MASCHENNETZ VON LANDSTRASSEN
14 IDENTIFIZIERBARE NACHBARSCHAFT
36 ABSTUFUNGEN DER ÖFFENTLICHKEIT
41 GEMEINSCHAFT VON ARBEITSSTÄTTEN
43 UNIVERSITÄT ALS OFFENER MARKT
45 KRANZ VON GEMEINSCHAFTSPROJEKTEN
46 MARKT MIT VIELEN GESCHÄFTEN
49 ÖRTLICHE STRASSEN IN SCHLEIFEN
52 NETZ VON FUSS- UND FAHRWEGEN
68 SPIELEN MIT ANDEREN KINDERN
69 ÖFFENTLICHES ZIMMER IM FREIEN
80 SELBSTVERWALTETE WERKSTÄTTEN UND BÜROS
81 KLEINE UNBÜROKRATISCHE DIENSTLEISTUNGEN
89 LEBENSMITTELGESCHÄFT AN DER ECKE
94 SCHLAFEN IN DER ÖFFENTLICHKEIT